Wutanfall

Ich höre immer wieder, wie Kinder im Rahmen der Autonomiephase teilweise unfassbar krasse Wutanfälle bekommen. Und das ist auch relativ normal - das mal vorab.

Aber wenn ich dann mal aus Interesse nachfrage, in welchem Kontext das passiert ist, wundere ich mich häufig. Einige Eltern (nicht alle!) scheinen ziemlich wenig Einfühlungsvermögen zu besitzen. Sie können sich in ihr Kind einfach nicht hineinversetzen. Daher versuche ich mal, zu beschreiben, wie ich das sehe.

Kinder sind richtig echte, komplette kleine Menschen. Mit richtig echten Bedürfnissen, Wünschen, Träumen und Gefühlen. Das Ding ist: Sie haben gar keine Ahnung, wie all diese Sachen funktionieren!

 

Das muss man sich so vorstellen, als würde man ein Nilpferd vor eine Nähmaschine setzen und erwarten, dass es einen Petticoat näht. grins-1


Die Kinder haben so überhaupt keinen Plan davon, was Gefühle sind. Oder wie man sie nennt. Oder wie man damit umgeht.

 

Du, geneigte:r Leser:in weißt das. Ich weiß das auch. Aber wir sind auch schon erwachsen. Und wir sind auch schon ziemlich lange erwachsen. grins-1

Aber Kinder müssen eben erst noch herausfinden, wie das geht - das mit dem Gefühlehaben.

Nehmen wir mal die am häufigsten auftretende Situation: Du gehst mit deinem Kind durch ein Geschäft und das Kind entdeckt einen bunten Ball und sagt "Den will ich haben!" Aus diversen Gründen, möchtest du dem Kind diesen Ball aber nicht kaufen.

Es ist völlig wurst, ob du nicht genug Geld dafür hast, einfach keinen Bock auf einen neuen Ball hast, weil das Kind schon 300 Bälle besitzt oder weil du den einfach hässlich findest. Du lehnst ab und erwartest, dass dein Kind das akzeptiert und ihr weitergeht. So. Über deine Gefühle und Bedürfnisse sind wir beiden Erwachsenen uns schon mal klar.

Du sagst also "Nein."

Und dann geht's los. Dein Kind reißt alle Schotten auf. Diverse Flüssigkeiten quellen aus Mund, Nase und Augen. Das Kind weint, schreit, zetert, schmeißt sich auf den Boden und rastet komplett aus. Und du stehst da, rollst mit den Augen, seufzt ganz tief und denkst darüber nach, wie geil es wäre, jetzt auf Hawaii einen Cocktail zu schlürfen. Ohne Kind. grins-1

word2-1  Ich kann das total verstehen. Ich würde vermutlich in der Situation genau dasselbe denken!

Meiner persönlichen Analyse nach, war der Auslöser - also der Funke am Zünder - das Nein. Bei einem Nein geht bei den meisten Kindern direkt das Visier runter. Das liegt zum Einen daran, dass der Begriff "Nein" wahrscheinlich noch nie, im Rahmen der Familie, diskutiert und erklärt wurde. Mehr dazu hier: Nein!

Zum Anderen löst dieses Nein aber auch im Kind etwas aus. Und zwar einen Gefühlssturm. Das läuft innerhalb eines Sekundenbruchteils so ab:

Nein --> Ablehnung --> Wut --> Traurigkeit --> Enttäuschung --> Wutanfall

Kinder können mit Ablehnung - insbesondere durch Personen, die sie lieben und denen sie vertrauen - schlecht umgehen. Sie haben das Bedürfnis nach Akzeptanz und Verständnis. Das ist völlig normal. Die anderen Gefühle kommen auf diesen Packen noch oben drauf. Der Gefühlssturm durchflutet jede Faser des Kinderkörpers. Er reißt sie buchstäblich von den Füßen. Soooo viele Gefühle auf einmal und die sind so heftig! Das Kind hat aber keine Ahnung, was das soll und was das ist. Es weiß nur: "Das fühlt sich gerade richtig beschissen an und ich will, dass das aufhört!"

Was kann man also dagegen tun?

 

Wenn die Situation schon so weit entstanden ist, hilft Verständnis total gut. Meist geht das am Besten, indem du die Gefühle deines Kindes benennst. Ungefähr so: "Du bist gerade richtig doll sauer, oder? Und sehr enttäuscht, weil ich "Nein" gesagt habe, stimmt's? Und traurig. Das kann ich total verstehen."

 

Damit erkennst du die Gefühle deines Kindes an. Du legitimierst, dass es okay ist, sich so zu fühlen. Gleichzeitig hilfst du dabei, die richtigen Wörter für diese Gefühle zu finden. Das wird deinem Kind in Zukunft dabei helfen, seine Gefühle mit weniger Schreien und Weinen auszudrücken. Stattdessen mit Worten.

 

Aber man könnte diese Situation vielleicht auch schon im Keim ersticken.

Ich finde, dass man das Wort "Nein" nicht so inflationär gebrauchen sollte. Wie gesagt, bei den meisten Kindern geht da direkt das Visier runter. Ich würde versuchen, das diplomatischer auszudrücken. In etwa so:

"Boah, das kann ich total verstehen, der Ball ist ja echt voll cool! Das Rot gefällt mir besonders. Ich werde dir den jetzt zwar nicht kaufen, aber wir könnten ihn auf deinen Wunschzettel für den Weihnachtsmann/deinenGeburtstag schreiben. Dann kannst du den zu Weihnachten/zum Geburtstag bekommen."

Diese Art beinhaltet gleich mehrere Elemente: Zum Einen wird auf das Nein verzichtet. Die Ablehnung und Enttäuschung kommt also nicht per Holzhammermethode, sondern vorsichtig. Also, nicht wie ein Tsunami, sondern eher, wie eine leichte Windböe. grins-1

Zum Anderen zeigst du mit dem ersten Satz erstmal Verständnis, für den Wunsch, diesen Ball besitzen zu wollen. Du stimmst deinem Kind also sogar zu, statt direkt abzulehnen. Das fühlt sich für's Kind gut an. Dann bietest du direkt einen Lösungsvorschlag an, anstatt das Kind mit einem radikalen Nein im Regen stehen zu lassen. Es kann darüber nachdenken, ob es bereit ist, sich noch eine Weile zu gedulden.

Ich kann nicht garantieren, dass das Kind nicht weint. Ich kann nicht mal garantieren, dass ein Wutanfall ausbleibt. Weil jedes Kind ein Unikat ist. Aber ich weiß, dass es bei meinem Sohn funktioniert. Und zwar so gut, dass wir bisher irgendwie gar keine Wutanfälle hatten. Mehr dazu auch hier: Keine Trotzphase?

 

Und mal ehrlich: Was kann es schon schaden, es einfach mal auf die diplomatische Tour zu versuchen? Du hast nichts zu verlieren!

Wie geht ihr mit Kind einkaufen?

Blöde Frage, denkt ihr jetzt. Aber ich finde die Frage ganz spannend, weil das offensichtlich jeder anders handhabt. Ich erkläre erstmal, wie wir das machen. Seit der Knirps ungefähr drei ist, haben wir feste Regeln für den Einkauf im Super-, Bau- oder Drogeriemarkt:

1. Nichts kaputt machen.
2. Nicht den Laden ohne Eltern verlassen.
3. Nicht mit Fremden mitgehen.
4. Wenn man sich gegenseitig verliert, zur Kasse gehen und dort Bescheid sagen.

Diese Regeln hat der Knirps noch nie gebrochen. Er ist inzwischen sechs. Das läuft in der Praxis dann so ab: Wir betreten den Rossmann. Knirpsi sagt mir, er gehe in die Spielzeugabteilung. Ich weise ihn auf unsere Regeln hin und erkläre, dass ich zum Schluss bei ihm vorbeikomme und ihn einsammle. Wir nicken und gehen dann unserer Wege. Wenn ich alles beisammen habe - oder auch zwischendurch, wenn mir die Zeit zu lang erscheint -, socke ich in die Spielzeugabteilung und frage, ob es ihm gut geht, ob er mich dort braucht etc. Meistens zeigt er mir dann begeistert, was alles neu ist oder was er gern auf den Wuschzettel geschrieben haben möchte. Meistens teile ich seine Begeisterung, denn es gibt wirklich ultracoole Spielsachen! grins

Dann gehen wir gemeinsam zur Kasse, es wird bezahlt, wir gehen gemeinsam raus, fertig.

Heute war dies auch im Edeka so. Mittendrin begegnete mein Knirps einem Kindergartenkumpel und seiner Mutter. Die Kinder fingen an, ein wenig hin- und herzulaufen, spielten fangen und schnitten Grimassen. Kurz: Sie hatten Spaß. Dabei waren sie aber nicht so laut oder ungestüm, dass sie jemanden gestört oder belästigt hätten. Sie haben auch nichts kaputt gemacht oder sich sonst wie daneben benommen.

Kurze Zeit später hörte ich, wie die Mama ihren Sohnemann total zusammenschiss. Sie "erklärte" ihm, dass dies ein Laden und kein Spielplatz sei. Er sollte nicht rumlaufen, sondern immer eine Hand am Kinderwagen seines kleinen Bruders haben. Er dürfe nicht rumrennen, nicht spielen und nicht rumschreien. Und er solle sich von meinem Sohn fernhalten. Mein Sohn bekam das ebenfalls mit und kam dann sehr geknickt zu mir gelaufen. Er stellte die nachvollziehbarste aller Fragen: "Warum darf Friedo nicht mit mir spielen? Warum will die Mama das nicht? Wir machen doch nichts Schlimmes!"

Tja. Ich hatte keine Antwort darauf.
Aber ich erklärte, dass jede Familie anders funktioniert und jede Familie ihre eigenen Regeln hat. Und Friedos Mama hat eben die Regel, dass beim Einkaufen nicht gespielt wird. Das muss man das respektieren und sich auch daran halten.

Mein Knirps fand das ultradoof. Und ehrlich gesagt: Ich auch. Weil ich es nicht verstehe. Einkaufen ist für die meisten Kinder super langeweilig. Außer, sie dürfen mithelfen. Das machen wir gelegentlich auch so, wenn der Sprössling Bock drauf hat. Alles, was in seiner Höhe steht, darf er dann holen. Dann sage ich "Kannst du mal ein Paket Milch besorgen?" und dann rennt er los und holt eins. Das macht ihm viel Spaß! Aber eben nicht immer. Manchmal ist es einfach totlangweilig, mit den gestressten Erwachsenen mitzulatschen, obwohl es woanders was viel Spannenderes zu sehen gibt.

Klar, niemand muss es so machen, wie wir! Und jedes Kind ist anders, daher geht es auch gar nicht mit jedem Kind, auf diese Weise, wie wir es machen.

Dennoch hat Friedo gar nichts Schlimmes gemacht. Ihm war langweilig, er hat einen Kumpel getroffen und die beiden hatten Spaß. Ich weiß nicht, warum man sein Kind deshalb so dermaßen ankacken muss. Und was dieses "Immer eine Hand am Wagen!" soll. Friedo ist doch kein Gefangener! Er ist doch ein eigenständiger kleiner Mensch, mit eigenen Bedürfnissen. Diese Handschelle, die ihn an den Kinderwagen seines Bruders fesselt, ist vielleicht unsichtbar, aber dennoch ist sie da.

Hat Friedos Mama einfach Angst, dass ihrem Sohn etwas passieren könnte? Warum sagt sie ihm das nicht einfach? Dann würde er sie viel besser verstehen, als wenn sie ihn ausschimpft. Und die Kinder sind schon sechs. Man muss vielleicht auch einfach manchmal etwas Vertrauen in sein Kind investieren, dass es einfach das Richtige tut, wenn's drauf ankommt.

Andererseits wohnen wir auf'm Dorf. Man kennt uns hier. Auch die Edeka-Mitarbeitenden kennen uns. Vielleicht ist das in der Großstadt nochmal was Anderes? Wo alle anonym sind, einander nicht kennen, aber leidenschaftlich hassen und man jede Sekunde mit einem Triebtäter rechnen muss...?

Anyway.
Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass es vielleicht noch mehr Kinder und Eltern da draußen gibt, die sich das Einkaufen mit Kind womöglich unnötig schwer machen. Dass es - unter gewissen Umständen (wie z.B. Regeln festlegen usw.) - auch einfacher geht.