Die Sache mit dem Stillen...

Vor fünfeinhalb Jahren brachte ich meinen Sohn zur Welt. 23 Stunden Wehen und dann doch ein überraschender, lebensrettender Kaiserschnitt. Ich war nur glücklich, dass es endlich geschafft war und dass unser Sohn (auf den ersten Blick) gesund war.
Dass ich mich von nun an fortwährend würde rechtfertigen müssen, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar. Aber fangen wir von vorne an:
Als ich während der Schwangerschaft einen Geburtsvorbereitungskurs besuchte, sagte die Hebamme in ihrer Eigenschaft als Laktationsberaterin, dass jede Frau stillen könne. Absolut jede. Ich habe eine Mamilleninversion, also nach innen gerichtete Brustwarzen und demzufolge hatte ich meine Zweifel. Meine Mutter hat das auch und konnte weder mich, noch meinen Bruder stillen. Deshalb fragte ich die Hebamme, ob das bei mir denn wirklich ginge. Sie hielt einen Monolog darüber, dass die Natur das schon so eingerichtet hätte und dass die Menschheit längst ausgestorben wäre, wenn es Mütter gäbe, die nicht stillen könnten. Das motivierte und überzeugte mich. Und mit dem festen Vorhaben, mein Kind zu stillen - denn schließlich ist das ja das Beste! -, schritt die Schwangerschaft weiter voran.
Nach der Geburt passierte fast gar nichts. Meine Brüste waren nicht bis zum Platzen gespannt. Meine Brüste waren nicht voll mit Milch. Der Milcheinschuss ließ drei Tage auf sich warten und wenn dann was kam, hab ich bei 90 ml schon eine Party gefeiert, weil das für mich total viel war. "Öfter anlegen!", sagte man mir. Tat ich auch. Aber aufgrund erhöhter Bilirubinwerte, wollte mein Sohn eigentlich lieber nur schlafen, statt trinken. Und wenn ich ihn dann anlegte, bekam er keine Milch da heraus. Stillhütchen brachte man mir, wies mich in die Anwendung ein. Abgesehen davon, dass ich das Stillhütchen ständig aus dem Mund meines Kindes friemeln musste, weil er so extrem saugte (da ja nichts rauskam), passierte eigentlich relativ wenig. Frust baute sich auf. Nach 3 Tagen kam Milch, aber eben nicht genug. Mein Sohn hatte bis dahin schon ordentlich abgenommen und weinte schon, bevor ich ihn überhaupt anlegte. War das ganze Unterfangen für ihn doch einfach furchtbar. Er hatte Schmacht - und bekam nichts. Nachdem wir endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurden und sich mein Krankenhaustrauma richtig zu manifestieren begann, hatten wir mit Beba-Fläschchen zugefüttert.
An einem Nachmittag fuhren wir ins Krankenhaus, zur Hebamme. Denn das mit dem Stillen funktionierte einfach nicht! Das Baby wurde nicht satt und ich wollte auf die Flasche umstellen - denn mein Sohn durfte einfach nicht weiter an Gewicht verlieren!
Die Hebamme kackte mich richtig an. Ich sei einfach nur zu faul und würde mich nicht genug anstrengen. Deshalb käme da nicht genug Milch!
Ich hatte mich vor diesem Termin schon furchtbar gefühlt. Wie das letzte Stück Dreck. Dann kam sie - Laktationsberaterin! - und musste mich noch zusammenscheißen und der Faulheit bezichtigen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich seit fast einer ganzen Woche keine Stunde geschlafen. Und eine posttraumatische Belastungsstörung brach sich langsam Bahn.
Ich wusste nicht, was mit mir nicht stimmt. Ich dachte nur, ich sei einfach als Mutter eine Versagerin. Als gesamtes Lebewesen eine Versagerin! Ich hätte kein Kind bekommen dürfen. Ich fragte mich, warum ich bei der Geburt nicht einfach gestorben war. Dann hätte mein Kind jetzt nicht so unter mir zu leiden. Und es würde satt werden.
Die Hebamme wog unseren Knirps, war geschockt und meinte, so ginge das nicht. Ich hätte in der Sache des Stillens ja "wohl voll ins Klo gegriffen" und nun bliebe uns ja auch gar nichts Anderes mehr übrig, als dem Kind die Flasche zu geben.
Abstillen brauchte ich nicht. Es kam eh fast keine Milch mehr. Wutentbrannt machte sie uns eine Flasche fertig, empfahl uns eine entsprechende Milch und danach hab ich auch nie wieder was von dieser Frau gehört. Die Tatsache, dass das Stillen bei mir nicht funktionierte, hat sie offensichtlich persönlich beleidigt oder so.
Unser Sohn nahm schnell zu und langsam kehrte Ruhe ein (vorerst).
Seitdem muss ich mich vor jedem rechtfertigen, nicht gestillt zu haben. Meine Schwiegermutter lässt keine Gelegenheit aus, mir zu erklären, dass unser Sohn nur deshalb Neurodermitis hätte, weil ich es nicht geschafft hätte, ihn zu stillen. Gut, sie hat während aller vier Schwangerschaften geraucht. Aber immerhin hat sie gestillt. Ja, sie ist definitiv besser, als ich und sollte anderen Ratschläge geben! (Achtung: Ironie)
Ungefragt begannen auf einmal auch andere Leute (Mütter) damit, mich zu verurteilen, sobald das Thema aufs Stillen kam.
Und erneut riss mich das völlig runter. Erneut dachte ich, ich bin einfach eine furchtbar schlechte Mutter. Wie konnte ich nur so dermaßen versagen? Was tat ich meinem Kind an? Was stimmte denn nicht mit mir? Müsste eine Mutter nicht stillen können? Wurden wir dafür nicht gemacht? Haben wir denn nicht extra nur dafür Brüste bekommen? Für diesen einzigen Zweck? Viele Tränen und große Verzweiflung folgten.
Bis...
... meine Ärztin mir sagte, "Frau K., mit Ihnen ist alles in Ordnung gewesen. Das lag nicht an Ihnen. Ihr Körper war in einer so extremen Stresssituation, dass er in den Überlebensmodus geschaltet hat. Ihr Körper hat sich erstmal für Heilung, für Selbsterhaltung entschieden. Da war nicht mehr genug Energie übrig, um Milch zu produzieren. Verstehen Sie, Ihr Körper dachte, dass Sie sterben! Das ist bei einer posttraumatischen Belastungsstörung nunmal so."
Ich war nicht schwach. Ich hab nicht versagt. Ich war nur krank.
Und stark genug, um das zu überstehen. Ich war stark genug, das zu überleben. Ich war stark genug, meinen Sohn aufzuziehen. Ich war stark genug, ihn jedes Mal in die Kinderklinik zu begleiten - trotz Krankenhausangst, die genau dort entstanden ist. Ich war stark genug, ihn bibbernd vor Angst, im Arm zu halten, während jeder fucking Untersuchung, seit seiner Geburt - egal, wie schmerzhaft sie auch war!
Und frag dich selbst, geneigte:r Leser:in:
Wenn dein Körper um sein Überleben kämpft, hätte er dann trotzdem Milch produziert?
Bitte verurteilt Kaiserschnitt- und Flaschennahrungsmamis nicht! Ihr kennt ihre Geschichte nicht. Und sie geht euch auch nichts an. Es verstößt gegen kein Gesetz, sich für Kaiserschnitt und/oder Flaschennahrung zu entscheiden. Und es verstößt auch gegen kein Gesetz, wenn der eigene Körper nichts anderes zulässt. Aus dem Grund ist es auch gar nicht euer Recht, sich dahingehend in anderer Leute Leben einzumischen! Und schon drei Mal nicht, andere Personen dafür zu verurteilen!
Seid lieber füreinander da und helft euch gegenseitig, statt euch gegenseitig fertig zu machen. Mehr dazu auch hier: Momshaming