Gute Ärzte, schlechte Ärzte
Nun ist der Knirps schon sechs Jahre alt. Vor sechs Jahren fing es also an, diese Krankenhaus-Ärzte-Diagnostik-Odyssee, die mich meiner Psyche beraubte.
Als wir in ein großes Universitätsklinikum mit dem Sohnemann gingen, fühlten wir uns zuerst gut aufgehoben. Unser Kind war einfach ein spannender Fall. Es wurde viel konsiliert und jeder brachte irgendeinen Assistenzarzt mit, der auch mal draufschauen sollte. Wir waren schlicht interessant. Dann erging eine Diagnostik und der Knirps wurde immer uninteressanter, denn es veränderte sich nichts. Laaaaangweilig!
Und so wurden wir immer schlechter behandelt. Als Eltern und als Patient.
Während der Pandemie hatte das Ganze dann seinen Tiefstpunkt erreicht. Und ich meinen auch. Meine Angst war unbeschreiblich. Die Angstsymptome setzten nun bei schon 14 Tage vor dem eigentlichen Termin ein. Herzrasen, Doppelsehen, Kopfschmerzattacken, einseitiger Tremor, Magenschmerzen, Durchfall/Verstopfung, Panikattacken, Schlaflosigkeit... Und immer wieder diese Endlosschleife in meinem Kopf "Deinkindwirdsterbendeinkindwirdsterbenddeinkindwirdsterben!"
Und da kein Therapieplatz für mich frei war (Warteliste seit 2 Jahren), wurde meine Hilflosigkeit immer größer. Ich fühlte mich der Willkür der Ärzte meines Sohnes ausgesetzt. Und der Willkür meiner Angst. Absoluter, vollständiger Kontrollverlust. Ausgeliefert.
Aber letzten Sommer war da dieser Oberarzt. Der unserem Sohn eine Wachstumsstörung andichten und Wachstumshormone andrehen wollte. Und statt Angst zu haben, wurde ich wütend. Ich ging aus diesem Behandlungszimmer im Uni-Klinikum raus und heulte vor Wut.
Nur, weil ein Kind klein und leicht ist, muss man nicht auf einmal künstliche Hormone in es reinstopfen! Wusste dieser Fatzke eigentlich, was für Folgen es haben kann, in einem gesunden Hormonhaushalt rumzupfuschen?
Es folgten Besuche beim Gastroenterologen und Endokrinologen. Beide bestätigten mein Gefühl: Das Kind hat keine Wachstumsstörung und braucht auch keine Wachstumshormone!
Was ich dann fühlte, war Triumph. Etwas, das ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Ich hatte Recht gehabt. Und mir geht's dabei nicht ums Rechthaben an sich, verstehst du? Sondern um meine Fähigkeit, meine Kontrolle zurückerlangt zu haben.
Das ist mein Kind!
Ich entscheide für mein Kind!
Kein Arzt!
Studium hin oder her. Nur, weil einer einen weißen Kittel trägt, heißt das nicht, dass er mehr über dieses Kind weiß, als ich. Und ich sehe dieses Kind j-e-d-e-n Tag toben, lachen, spielen, rennen, neue Dinge lernen. Ich weiß einfach, dass er keine Wachstumsstörung hat. Und dieses eine Mal hab ich mich auch nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern hab auf mein Gefühl gehört.
Und von da an war das Thema Uni-Klinikum Geschichte. Denn dahin wollte ich nicht mehr zurück.
Heute wurde die halbjährliche Verlaufskontrolle von unserem Hausarzt durchgeführt. In aller Ruhe, mit Vertrauen. Er nahm sich viel Zeit. Er schaute mich an und sagte: "Verstehen Sie, wir sprechen hier nicht von einer Krankheit, die Ihr Sohn hat. Die Blutwerte sind stabil und das sind nur Grenzwerte. Keine Werte, die irgendeine Handlung erfordern. Oder eine Therapie. Sehen Sie, mit diesem Wert kann Ihr Sohn 100 Jahre alt werden."
NOCH NIE hat ein Arzt diesen Satz zu mir gesagt. Immer war alles unabsehbar, ungewiss, instabil, auf wackeligen Beinen, unsicher, unprognostizierbar.
In dem Moment brach die Erleichterung sich Bahn. Ich schlug beide Hände vor meinen Mund und versuchte verzweifelt, Tränen zu unterdrücken. Mitfühlend blickte unser Hausarzt mich an. Wohl wissend, wie wir die letzten sechs Jahre behandelt worden waren. Als Idioten. Wir waren ja NUR die Eltern. Wir hatten ja gar keine Ahnung von unserem eigenen Kind.
Aber dieser Arzt weiß, dass wir die einzigen Experten für genau dieses Kind sind.
Ja, fachlich sind Fachärzte eine tolle Fraktion. Ich ziehe meinen Hut und habe den größten Respekt vor ihrem Fachwissen!
Aber menschlich sind Fachärzte in Uni-Kliniken irgendwie abgestumpft. Da sind die Kinder und deren Eltern nur Zahlen. Massenabfertigung. Keine Zeit. Keine Kompromisse. Bohrt man den Eltern halt ein Messer ins Herz - wen juckt das schon? So ist das eben.
Aber so muss es nicht sein.
Und heute fühle ich mich erstmals wieder meiner Selbstkontrolle nahe. Ich habe das Gefühl, nicht mehr ausgeliefert und hilflos zu sein, sondern etwas bewirken zu können. Das Gefühl, mein Kind doch beschützen zu können. Nicht nutzlos zu sein.
Die Angst hat mich immer so gelähmt, dass ich gar nichts tun konnte. Aber Wut hat mich handlungsfähig gemacht. Man kann weder Angst, noch Wut wirklich kontrollieren. Aber Wut erfordert eine Entscheidung. Wut ist Druck und der Druck muss irgendwohin. Niemand, der wütend ist, gibt sich kampflos auf. Jemand, der wütend ist, muss eine Entscheidung treffen, wie er weiter vorgeht.
Am heutigen Tag würde ich behaupten, dass die Wut mir meine Selbstkontrolle zurückgegeben hat. Keine Ahnung, wie es morgen sein wird. Aber für heute fühle ich mich gut.