Das Schreimonster: Mama

"Du bist ja anscheinend eine Super-Mami", wurde mir vor Kurzem spöttisch von einer anderen Mutter an den Kopf geknallt. Ich hatte auf eine Frage ihrerseits geantwortet, indem ich meine eigenen Erfahrungen beschrieben hatte. In der Hoffnung, ihr damit helfen zu können. Herablassend zu sein, war nicht mein Ziel. Ich wollte sie damit nicht ärgern! Doch sie war verärgert.
Und das ärgerte mich.
Weil ich das Gegenteil einer Super-Mami bin. Ich hab kein Kind geboren und wusste - schwupps! -, wie man Konflikte mit ihm löst. Ich bitte euch! Niemand kann das auf Knopfdruck - nicht mal die Super-Nanny!
Die erste Zeit mit meinem Sprössling war sogar richtig schlimm. Er hatte Dreimonatskoliken, die sich eher auf Fünfmonatskoliken ausdehnten. Das bedeutete, jeden Abend ein vor Schmerzen schreiendes, weinendes Kind und du kannst ihm nicht helfen. Wer das selbst erlebt hat, weiß, wie schrecklich das ist und was das mit einem macht. Dieses Gefühl von Hilflosigkeit ist echt beschissen! Und dann folgt irgendwann Resignation. Das ist fast noch schlimmer.
Aber auch dies sei aus Erfahrung gesagt: Falls du dich gerade in dieser Phase befindest - es wird besser! Dreimonatskoliken gehen irgendwann vorbei. Du musst nicht ewig durchhalten. Nur lange genug.
Als der Knirps so ungefähr ein Jahr alt war, war mein Geduldsfaden so kurz - der war gar nicht mehr zu sehen! Alles, wirklich absolut alles regte mich auf. Das lag daran, dass ich dauer-reizüberflutet war. Ich konnte nicht schlafen und auch im Wachzustand war einfach absolut alles viel zu viel für mich. Damit gingen auch ständige Migräne-Attacken einher.
Als ich klein war, hatte mein Vater mir unabsichtlich beigebracht: Wer am Lautesten schreit, hat Recht. Egal, um was es geht. Das war das, was ich wusste. Das, was funktionierte. Das, was ich kannte.
Und so war dies natürlich auch mein Mittel der Wahl, als mein Kind anfing, einen eigenen Willen zu entwickeln. Ich schrie. Ich schrie so laut, dass ich mein schreiendes Kind übertönte. Und das funktionierte natürlich auch.
Aber eines Tages ergab sich wieder so eine Situation. Mein Sohn hatte, in seinem Kinderbett liegend, eigentlich nur rumgekaspert. Er war laut dabei gewesen, wie es eben mit Kindern völlig normal ist. Ich hatte aber irre Kopfschmerzen und es fühlte sich an, als würde mein Gehirn gleich explodieren. Auf einmal fiel der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Und über meinen, im Bett liegenden Sohn gebeugt, brüllte ich ihm ins Gesicht: "HÖR ENDLICH AUF!" Richtig laut.
Er war sofort still. Er weinte nicht. Er machte gar nichts mehr. Ich glaube, er hatte auch die Luft angehalten. Er starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Angsterfüllt! Er hatte Angst, dass ich ihm etwas tue. Und in seinen Augen sah ich etwas. Ich sah jemanden. Aber nicht ich spiegelte mich darin. Sondern mein Vater. Ich hatte mich in meinen Vater verwandelt!
Ich hatte mich in ein Wesen verwandelt, zu dem ich nie hatte werden wollen. Ich mag meinen Vater, aber wir haben eine sehr schwierige Vergangenheit. Es gab Zeiten, da habe ich ihn wirklich gehasst. Und ich hatte mir geschworen, niemals so zu werden, wie er. Ein Choleriker, der jede Situation mit Rumbrüllen löst. Der jeden in seiner Umgebung anscheißt und niedermacht, um sich selbst besser zu fühlen.
Und genau zu so einem Wesen, war ich geworden. Und ich hatte es nicht mal bemerkt.
Ich weiß noch, wie ich mich umdrehte und aus dem Zimmer rannte. Ich wäre am Liebsten vor mir selbst weggelaufen. Wie konnte es nur soweit kommen? In der Schwangerschaft hatte ich mir doch genau überlegt, welche Art Mutter ich sein wollte. Wie wir unser Kind erziehen wollten. Was wir ihm mit auf den Lebensweg geben wollten. Wir wollten es anders machen, als unsere Eltern!
Aber nun war ich genauso.
Kurze Zeit war ich deswegen verzweifelt. Dann fasste ich aber den bewussten Entschluss, jetzt mal die Arschbacken zusammenzukneifen und mir zu überlegen, wie ich es besser machen kann.
Ich googelte. Ich kam "von Brotbacken auf Arschbacken", wie eine liebe Freundin von mir immer sagt. Ich las zig Seiten, Artikel, schaute Videos und hörte Ratgebern zu. Viel Unsinn war dabei. Auch viel Weichspülerei. So halte ich von antiautoritärer Erziehung z.B. so gar nichts. (Obwohl das sicherlich Ansichtssache ist.)
Aber ich lernte dadurch etwas. Und zwar bekam ich einen neuen Blickwinkel aufgezeigt.
Kinder werden dämlicherweise ohne Bedienungsanleitung geliefert. (Baby Corp wird deshalb auch eine sehr schlechte Kundenbewertung von mir bekommen!! )
Aber je mehr Erfahrungen anderer Eltern ich las und hörte, desto mehr bekam ich den Bogen raus, wie Kinder "funktionieren". Ich lernte sehr viel, in kurzer Zeit. Und suchte einen Weg, das Gelernte anzuwenden.
Erfolgreich, wie mir scheint.
Heute schreie ich praktisch gar nicht mehr.
Das heißt nicht, dass ich nie wütend werde. Ohh, und wie wütend ich werden kann! So sehr, dass ich meinen Puls in den Ohren rauschen höre und anfange, vor Wut zu beben. Dann könnte ich ausrasten!
Aber ich tu's nicht.
Ich zähle von zehn rückwärts und atme tief ein und aus. Und wenn das nicht hilft, verlasse ich einfach die Szenerie. Dann gehe ich aus dem Zimmer oder auch einfach mal aus dem Haus und drehe eine Runde durch den Garten, bis der Rauch aus meinen Ohren abgezogen ist.
Danach kann ich zu meinem Sohn gehen und die Situation in Ruhe und mit Diplomatie lösen. Und das ist für alle Beteiligten viel, viel besser!
Wir sind zwar alle auf irgendeine Weise die Produkte unserer Eltern. Aber das ist kein auswegloses Schicksal. Wenn wir unser eigenes Verhalten reflektieren und uns bewusst dafür entscheiden, einen anderen Weg zu gehen, dann können wir diesen Kreislauf aus generationenalten, schlechten Erziehungsmethoden durchbrechen.