Angst & Raum

Man redet immer über Zeit & Raum. Im astrophysikalischen Sinn. Ich rede heute von Angst & Raum.

 

Ich habe nämlich gelernt, dass Ängste manchmal "einfach" verschwinden, sobald man ihnen keinen Raum mehr gibt.

Es war soweit, dass ich Angst vor der Angst hatte. Ich hatte Angst davor, dass die Angst sich ihren Weg aus dem Verlies bahnt - ganz unvermittelt. Mich überfällt. Wie sie es ja meistens tut. Ein Auslöser und - Bumm! - liege ich wehrlos am Boden, weil sie über mich hergefallen ist. Mich lähmt. Paralysiert.

Aber gestern hatten wir einen Arzttermin, mit dem Knirps. Einen wichtigen. Und ich hatte mir am Tag zuvor einfach gesagt: Nein. Du gibst dieser Angst einfach keinen Raum mehr. Du lässt einfach nicht zu, dass sie dich überfällt. Weil du und deine Angst euch einfach nicht mehr im selben Universum bewegen werdet.

Ich habe mich also bewusst dafür entschieden, der Angst keine Macht über mich zu verleihen. Stattdessen habe ich mich abgelenkt. Immer dann, wenn mein Kopf anfing, an diesen Termin zu denken und diese Gedanken kamen, die mit "Was ist, wenn..." anfingen oder mein Kopfkino eine Kinder-Beerdigung ausrichtete, hab ich an was Anderes gedacht. Meine Arbeit. Das Laternenfest im Kindergarten. Meine Schnecken. Was mein Mann und ich am Abend im Fernsehen schauen werden. Auch Hörspiele, Serien oder positive Musik lenken mich gut ab.

Denn ich hab vor ca. 3 Wochen schon mal etwas über mich selbst gelernt: Wir hatten auch da einen wichtigen Arzttermin mit dem Knirps. Und als die Angst aufzukeimen anfing, bekam ich Angst vor der Angst und davor, dass ich am Tag des Termins völlig unfähig und dysfunktional mit dem Fünfjährigen im Behandlungszimmer sitzen werde. Innerlich in Embryohaltung eingerollt. Innerlich wimmernd. Eingeschüchtert.

Da kamen mein Mann und ich auf die Idee, mein Gehirn zu überlisten. Nach dem Termin bekam ich etwas, was ich lange schon wollte, aber es war nie die Zeit da: Ein Piercing. Und als in den Tagen vor dem Termin die Angst aufkam, schaltete ich um. Zu dem Gedanken, wie ich im Piercingstudio sitze. Ganz freudig aufgeregt, an den Schmerz zwar, aber auch daran, wie cool es aussehen wird, wenn's fertig ist! Ich ersetzte also den Angst-Gedanken durch einen Gedanken an ein freudiges Ereignis. Eins, das - völlig unabhängig vom Ergebnis des Termins - Freude bei mir auslösen würde.

Und es funktionierte. Im Termin war ich konzentriert, fokussiert und positiv eingestellt. In der Folge ging dieser Termin sogar mit einem äußerst produktiven Ergebnis aus! Danach folgte mein Piercing.

Und soll ich euch mal was sagen? Es sieht einfach HAMMER aus!

Gestern gab es zwar kein Piercing.
Aber ich dachte mir, wenn ich der Angst "einfach" nicht den Raum gebe, mich auszufüllen... auszuhöhlen, geradezu... dann kann sie nicht funktionieren. Nicht ich werde dann dysfunktional. Sondern meine Angst!

Ich ermächtige die Angst dazu, mich zu überfallen, wenn ich ihr den Raum gebe, den sie braucht, um sich zu entfalten.

Entziehe ich ihr diesen Raum und fülle meine Gedanken mit freudiger Erwartung auf irgendwas oder meinetwegen auch mit lang auswendig gelernten Hörspieltexten, dann töte ich sie. Ich entziehe ihr Raum, Macht und Nahrung! Ich sperre sie aus und lasse sie am langen Arm verhungern.

Aber ich muss mich bewusst dafür entscheiden, das zu tun. Und ich will nicht lügen: Es ist anstrengend.