Angst/Panikattacke

Die Angst hat sich befreit. Aus ihrem Verlies. Ganz von allein und ganz plötzlich. Ich weiß nicht, was der Auslöser war. Was mich getriggert hat. Während der Autofahrt wurde mir plötzlich ganz übel. Meine Haut fing an zu kribbeln und mir wurde die Luft knapp. Eine Panikattacke. Das Gefühl ist mir bereits vertraut. Aber wieso ist das passiert?

Wieso kam mir aus heiterem Himmel der Gedanke, dass mein Kind doch eine Wachstumsstörung haben könnte? Wieso kam mir ganz plötzlich der Gedanke, seine damals erhöhten Bilirubinwerte mit einer Wachstumsstörung in Verbindung zu bringen? Und wieso kann das - vom medizinischen Standpunkt aus - auch tatsächlich der Fall sein? Woher wusste ich das? Ich wusste es nicht. Der Gedanke war auf einmal einfach da. Und er entfesselte die Angst, brach alle Schlösser zu ihrem Verlies auf und sprengte Ketten und Felsgestein. Sie brach sich Bahn und ließ mich als kleines Häufchen Asche zurück. Zermürbt. Weinend. Verzweifelt.

Expecting the worst, hoping the best. Das tue ich. Und ich weiß, dass eine Wachstumsstörung - sollte sie denn nachgewiesen werden - nicht den Tod meines Kindes bedeutet. Ich weiß das! Der rationale Teil meines Ichs WEISS das!

Aber ebenso, wie meine Spinnenangst, ist auch diese Angst nicht rational. Ich kann mit rationalen Argumenten nichts gegen sie ausrichten. Ich will sie anschreien "SEI ENDLICH STILL!" Ich will die Angst packen und sie zu Tode würgen, damit sie endlich aufhört, in mich hineinzuflüstern!

Sämtliche Tipps und Tricks, die ich kenne und anwenden kann; die mir einfallen, teste ich aus und nichts hilft. Die Angst ist präsent. Wie ein großes, schwarzes Ungeheuer steht es über mir und breitet seine grausamen Flügel aus, als wollte es mich verschlingen. Wie soll ich mich dagegen wehren? Wie soll ich diesem Ungeheuer entkommen? Da bin ich doch chancenlos!!

Ich lenke das Auto auf den Hof. Mit Ächzen löse ich den Gurt, ziehe den Zündschlüssel brutal aus dem Schloss, stürze aus dem Auto und hinein ins Haus. Ohne die Schuhe auszuziehen oder irgendein anderes Ritual zu verfolgen, das mir Sicherheit gibt, eile ich ins Wohnzimmer. Da sitzt es. Mein Herz. Mein Leben. Auf dem Sofa. Mit schokoladenverschmiertem Gesicht und schaut Micky Maus. Tränenaufgeweicht und tonlos schluchzend, lege ich mich daneben. Er bemerkt gar nicht, dass es mir nicht gut geht. Micky und Minnie sind einfach ZU spannend. Ich vergrabe mein Gesicht zwischen Sofakissen und seiner Schulter und meine Tränen durchnässen seinen Lego-Pulli. Geistesabwesend streicht er mir über den Hinterkopf; bemerkt nicht, wie er die Angst mit nur einer Handbewegung aus mir herausstreichelt. Wie das dunkle Ungeheuer selbst Angst bekommt, ob der Liebe, die diese kleine Person ausstrahlt und über meinen Hinterkopf in mich hineinstreichelt. Wie sie leuchtet. Nur ein kleiner Funke, zuerst. Dann strahlend hell, wie die Sonne selbst. Kein dunkles Ungeheuer kann dagegen irgendwas ausrichten! Wie ein Patronus-Zauber, der geradewegs aus der Hand meines Sohnes zu strömen scheint, wird die Angst in meinem Inneren zurück in ihr Verlies gezwungen. Zurück in ihre Kiste. Die schwere Eisentür fällt ins Schloss und die Felsbrocken, die das Verlies unter sich begraben, türmen sich - wie durch Zauberhand - darüber auf. "Du warst aber schnell", sagt diese kleine Person verwundert und drückt mir einen klebrigen Schokoladen-Kuss aufs Ohr. Mein erleichtertes Schluchzen versickert unbemerkt im Sofakissen.

Den Rest des Abends bleibe ich neben meinem Funken, meinem Patronus auf dem Sofa sitzen. Aneinandergekuschelt. Zur Sicherheit.